Von Utae Nakagawa-Herbst im Juli 2011:

Liebe Freunde für Japan,

nach unserer Begegnung am 15.05.2011 im Tollhaus sind 2 Monaten vergangen. Warum wir uns erst jetzt zur Aktualisierung der Webseite kamen, hat damit zu tun, dass ich gerne die Zeit nehmen wollte Ihnen die Neuigkeiten aus Japan zu berichten.

Verzeihen Sie bitte, falls Sie mehrmals unsere Webseite besucht haben und nicht was neues von uns erfahren haben. Wir als Verein, sind wir noch sehr frisch und jeder von uns hat eigene Arbeiten, Familie und wir konnten uns nicht alles auf einmal mit Schwung erarbeiten. Außerdem hat mein Team auf meine Berichte aus Japan gewartet, die ich hiermit Ihnen gerne mitteilen möchte.

Ich war vom kurzem in Japan und habe die Mitarbeiter von einer Stiftung in Ooiso getroffen. Genaueres können Sie beim Thema "Stiftung in Japan" klicken (Seite auf Englisch).

Wie ist die Lage in Japan - heute nach 4 Monaten seit dem 11.03.2011? Die ersten Worte eines Freundes meiner Familie, den ich wie sonst nach meiner Ankunft anrief, waren: "Herzlich willkommen im verstrahlten Land-Japan". Ich musste kurz schlucken und wusste ich nicht was ich sagen sollte ... Jeder zweite Japaner redet beim Essen, ob die Waren auf dem Tisch in Ordnung sind oder ob es schon gesundheitlich gefährliche Ware ist.
 
Mein Cousin fragte sich bei einer gemütlichen Mahlzeit, über die Fische, die meine Mutter aus der Gegend mitgebracht hatte, ob sie uns gefährden oder nicht - er hat natürlich gegessen und es hat ihm unglaublich geschmeckt, aber ich konnte mir nicht vorstellen, mit diesem Gedanken mein täglichen Leben zu verbringen. Nach dem Essen sprach mein Cousin von einem Bericht, dass die Böden in Nordosten Japans noch nicht beruhigt hätten und die Möglichkeit besteht, dass es nochmals in einer anderen Gegend das nächste größere Beben passieren könnte. Der Favorit ist immer noch die Stadt Tokyo.
 
Ich habe wirklich kapiert, was meine Mutter damals hier in Deutschland gemeint hat, wie ich Ihnen am 15.05. 2011 im Tollhaus erzählt habe, dass meine Mutter das Gefühl vergessen hätte, wie das ist ohne Angst auf der Straße zu stehen. Im Hintergedanken permanent unbewusst an ein eventuelles nächstes Erdbeben zu denken, setzt die Menschen unter enormen Stress ...
 
Diesmal hatte ich das Gefühl, dass ich meine Familie besucht habe, um ihnen ein kleines Bisschen andere Gedanken und andere Stimmungen im Alltag zu bringen. Unabhängig davon hatte ich Konzerte zu geben und außerdem die Aufgabe, bei der Aufgabe des Geschäftes meiner Mutter in Tokyo zu helfen, denn die 90 % ausländischer Kunden kommen nicht mehr und werden auch weiterhin nicht kommen. Es geht nicht nur bei uns so auch bei vielen Firmen sind enorme Schwierigkeiten aufgetreten.
 
Oder ein ganz anderes Schicksal: Eine Firma verkauft Teile von Kernkraftwerken. Die Firma ruft die Mitarbeiter und bittet 200 Männer sich zusammen zu finden, die nach Fukushima bei der Reparatur-Arbeit mitmacht. Mein Onkel arbeitet in dieser Firma, er ist seit ein paar Jahren in Ruhestand, dennoch hat die Firma viele Ex-Mitarbeiter angerufen, wer will, kann dort mithelfen, heißt das. Es sind sicher ganz viele junge Väter, die Familie haben, die als Japaner und das Pflichtgefühl für das Land mithelfen werden ... so wie viele Feuerwehrmänner, die von Anfang an kämpften. Der Geruch in Nordosten muss irrsinnig sein: von toten Fischen, Vögeln und ...
 
In jedem Sommer gibt es in Japan für die Gymnasiasten ein sehr beliebtes Baseball-Turnier. Manche Schulen sind bekannt dafür, dass sie gute Sportabteilungen haben. Die jungen Spieler suchen sich Schulen, die einen guten Namen haben, um dort in die Baseballteams aufgenommen zu werden. Die Konkurrenz ist sehr groß. Diesmal gab es 3 Teams aus dem Nordosten Japans. Eigentlich spielten diese drei Teams innerhalb einer Region gegeneinander. Außer in einem Team, das noch 8 Spieler hat, sind leider nur zwei andere Teams mit jeweils einem Spieler übrig geblieben. Als der Kapitän der 8 Spieler davon erfahren hatte, dass die andere Jüngsten diesmal nicht teilnehmen können, fand er dies sehr schade - sie schlossen sich zusammen und haben sich mit einem neuen Namen angemeldet.
 
Die erste Frage des Trainers bei dem ersten Training war, "wer hat die Eltern verloren? wer hat Verwandte verloren? Nachdem ersten Übungsturnier haben sie total verloren und das Team hatte in jeder Hinsicht schlecht gespielt. Der Trainer sagte zu den Jüngsten, "egal ob ihr die Eltern verloren habt oder Häuser verloren habt! Hier geht es nur um das Spiel! Wenn ihr nicht in der Lage seid zu spielen, könnt ihr es lassen! Es war sehr eindrucksvoll, wie er das gesagt hat. Er hat sicher selber auch eine schwierige Zeit hinter sich, aber so hat dieser Trainer die Jüngsten wieder Motivation gegeben. Ich spürte seine Energie ...
 
Als ich mit meiner Mutter in der Nähe des Hauses meiner Eltern am Meer entlang fuhr, sagte sie kurz, "wenn jetzt ein Tsunami kommt, sind wir beide tot." Ich wünsche vom ganzem Herzen, dass meine Landsleute so schnell wie möglich die Ruhe im täglichen Leben zurückzubekommen!! Dafür war es natürlich nicht schlecht, dass die Japanerinnen bei der Fußball WM gewonnen haben! Endlich positive Gedanken für mein Volk!
 
Die Aktion Spenden zu sammeln ist eine ganz andere Sache, als die Spenden vor Ort gut und vernünftig zu verteilen. Ich traf Leute von der Stiftung "Sekai Kodomo Dantai" (Link: http://www.fgc.or.jp/ ).Wie z. B Herr Yamakoshi erzählte, wie seine Mitarbeiter fast jede Woche nach Fukushima und die Gegend drumrum fahren, um die Leute Ware zu bringen oder die Therapeuten zu begleiten, um Kindern psychische Betreuung zu ermöglichen. Sicher ist die Kindertherapie eine Sache, die wir nicht sehen oder gut begreifen können, wie z.B. Ware zum Verteilen zu kaufen. Die Realität ist nämlich, dass heute noch die Schulbusse beim Trümmerfeldern vorbei fahren und die Kinder wie auch die Jugendlichen Albträume haben. In einem Bericht einer japanischen Zeitung stand, dass viele Kinder sich zurückentwickelt haben oder nach kurzen Nachbeben zur Straße laufen und weinen, vor lauter Angst schreien. Wie können kleine Kinder mit solchen Gefühlen zurecht kommen?
 
Ich persönlich finde, dass diese Kinder zu unterstützen mindestens so wichtig, wie gekaufte Wahre zu verteilen. Nach unsere Frage. "wie schützten Sie sich, wenn Sie nach Nordost-Japan fahren? Die Antwort der zwei Männer der Stiftung war: "Ach, wissen Sie, wir haben schon viel erlebt in unserem Leben. Uns kann nicht mehr viel passieren. Wir gehen so hin. Das Schlimme ist, dass es eigentlich viel mehr Städte gibt, die leider bei der Explosion des Reaktors die Trümmer erwischt haben und verstrahlt wurden. Über diese anderen Städte schweigt das Land immer noch. Das ist die Schlimme - aber nicht wenn wir hinfahren ..."
 
Ich habe eine große Achtung und bewundere solche Helfer, die freiwillig dahin gehen. Sie sind sehr gefasst und wissen, was sie tun ...
 
Ich habe 3 Konzerte gegeben. Diesmal habe ich auch ein Kinderprogramm gegeben, so dass die kleinen Kinder die Gelegenheit bekommen das Instrument nahe zu hören oder auch auszuprobieren. Diese Momente, in der ich mein Instrument hatte, kamen mir vor, als wäre die Zeit stehen geblieben und wir hätten in unserem Land gar keine Angst und Sorgen. Durch Kontakte meiner Eltern hatten wir sehr viele Gelegenheiten dort in Japan Konzerte zu geben. Normalerweise wurde die Reise und Honorar immer bezahlt. Aber zur Zeit ist das nicht möglich.
 
Falls Sie diesen Text lesen und Interesse haben um die Japaner mit Ihrer Musik zu trösten, oder mit Ihrem Besuch motivieren wollen, melden Sie sich bitte bei mir. Ich werde Ihnen gerne die Kontakte weiter geben. Die Menschen in Japan werden sich bestimmt sehr freuen!
 
Meine Freuende fragen, wie lange der Wiederaufbau des Nordosten Japans noch dauern würde. In einem so hochmodernen Land? Wir haben schon öfters mit Erdbeben gekämpft. Wie wäre es gewesen, wenn der Tsunami nicht so hoch gewesen wäre ... wenn das Wasser nicht gekommen wäre ...
 
Ein Politiker rief kurz nach dem Beben seine Frau in Nordosten Japans an. Es ging ihr gut, sagte sie, dass sie bestimmt eine Woche brauchen würde das Haus aufzuräumen. Kurz danach hat er vom Tsunami gehört, seitdem hatte er keinen Kontakt mehr mit seiner Frau.
 
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, wenn Sie diese Zeilen von mir lesen. Ich möchte Ihnen nur einige Beispiele der Realität Japans erzählen und nicht mehr. Es ist auch nicht mein Ziel oder Absicht mit dem Text irgend jemanden zu beeinflussen oder anderer Menschen Schicksal zu nutzen, sondern mir geht es darum, dass ich als hier lebende Japanerin, eine starke Emotion für meine Heimat habe und Ihnen mitteilen wollte, wie uns in Japan geht, damit sie nicht vergessen werden.
 
Ich bedanke mich von ganzem Herzen für Ihre Spenden, für Ihr Spiel, die großen Hilfen und für Ihre Unterstützung. Wir als Verein möchten weiterhin in Bewegung bleiben. Über ein weiteres Interesse Ihrerseits wären wir sehr dankbar.
 

Die Spendenbescheinigungen werden in den nächsten Tagen rausgehen. Wer also in ca. 10 Tagen (Anfang August) noch keine Bescheinigung hat oder seine Adresse vergessen hat anzugeben, kann sich gerne danach bei uns melden.

 
Ich wünsche Ihnen schöne Zeit und bis zum nächsten Bericht aus Japan

Ihre Utae Nakagawa-Herbst